Hessische Landesstelle für Suchtfragen e.V. (HLS)

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Hessische Landesstelle
für Suchtfragen e.V. (HLS)

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Der Impuls

Ziel des Wettbewerbs war es, neue suchtpräventive Aktivitäten vorzustellen und in Hessen bekannt zu machen. Darüber hinaus sollten Institutionen Anerkennung finden, die suchtpräventive Maßnahmen und Projekte innovativ und wirksam umsetzen.

Die Hindernisfreie Begegnungsstätte

Die Hindernisfreie Begegnungsstätte: Ein pädagogisches Experiment im „Güterschuppen“, Flörsheim

Teil 1: Praktische Umsetzung

Ziele

Entwicklung und Förderung eigener Werthaltung und Verantwortungsbewusstsein Stärkere Identifikation mit der Einrichtung und damit auch Verantwortungsübernahme (für Materialien, Aktivitäten, Mitgestaltung, usw) Förderung eigener Bedürfniserkennung und –artikulation sowie Problemlösekompetenz und Kreativität Sozialkompetenztraining im Freizeitbereich

Ausgangslage

Den Jugendtreff „Güterschuppen“ in Flörsheim wird regelmäßig von 10 – 20 Jugendlichen und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 22 Jahren mit Migrationshintergrund besucht. Die Besucher/-innen spielen Billard und Playstation, hören Musik, surfen im Internet und benutzen die Küche. Dabei ist auffällig, dass ein Großteil der Jugendlichen Schwierigkeiten in ihrer Kommunikation zeigen. Zudem ist der hohe Verschleiß an Materialien auffällig.

Das Experiment „Hindernisfreie Begegnungsstätte“

  • Beginn und Dauer
    Nach einer einwöchigen Schließzeit beginnt das Experiment ab dem 26.03.2007 zunächst für unbestimmte Dauer. Das Experiment endet voraussichtlich mit der Sommerpause oder wenn ein reflektierter Umgang mit dem Inventar zu erwarten ist.
  • Spezifische Anforderungen an die Mitarbeiter/-innen während der Experiment - Phase
    Das Projekt erfordert von den Mitarbeitern ein hohes Maß an Flexibilität, Frustrations- und Ambiguitätstoleranz da sie auf die Wünsche der Jugendlichen unmittelbar reagieren sollen. Die Mitarbeiter/-innen müssen auch Situationen aushalten können, in denen keine Wünsche geäußert werden.
  • Beschreibung
    Das pädagogische Experiment „Hindernisfreie Begegnungsstätte“ soll einen Begegnungs- und Lernraum für Jugendliche schaffen und deren kommunikative Ressourcen fördern. Dabei sind ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Inventar des Jugendtreffs sowie die Entwicklung eigener Ideen für die persönliche Freizeitgestaltung von zentraler Bedeutung. Hierzu wird Platz geschaffen. Indem alle Gegenstände und Spiele aus dem „Güterschuppen“ herausgeräumt werden, werden die Besuchern/-innen mit ihren Bedürfnissen und Wünschen „konfrontiert“. Dies betrifft die Musikanlage, den Computer, die Playstation, den Billardtisch, die Brettspiele, das Geschirr und die Vorhänge. Selbst Sitzgelegenheiten und Tische werden aus dem Raum genommen. Geschirr, Brettspiele und Playstation werden in Kisten gepackt. Dabei wird darauf geachtet, dass sie leicht wieder herausgenommen werden können. Nach der Räumungsaktion stehen nur noch ein Tisch mit Stühlen für die Besucher im Jugendtreff bereit. In der Küche sind Tassen zu finden. Die Jugendlichen sind aufgefordert ihre Wünsche differenziert ausdrücken. Vereinbart wird, dass sie sich gemeinsam im Konsens für nur eine Tätigkeit entscheiden. Die Betreuer des Jugendtreffs sollen den Anfragen der Jugendlichen daraufhin nachkommen.

    Beispiel 1:
    Die Jugendlichen beschließen, dass sie etwas kochen wollen. Sie äußern diesen Wunsch einem Betreuer gegenüber. Dieser beschließt gemeinsam mit den Jugendlichen was gekocht wird und geht mit ihnen einkaufen. Zu diesem Zweck wird ausreichend Geschirr hervorgeholt. Nach dem gemeinsamen Kochen wird das Geschirr gespült wieder weggepackt.

    Beispiel 2:
    Die Jugendlichen beschließen gemeinsam, mit der Playstation zu spielen. Die Playstation wird vom Betreuer herausgeholt und von den Jugendlichen aufgebaut. Sie können nun das Angebot gemeinsam in Anspruch nehmen und zum Ende wieder wegräumen.

Wichtig ist, dass die Aktionen gemeinsam mit den Jugendlichen durchgeführt werden. Beteiligen die Jugendlichen sich nicht an der gewünschten Aktivität, wird diese abgebrochen und keine Alternative angeboten. Die Betreuer reagieren nur auf verbal ausgedrückte Wünsche der Jugendlichen. Pro Treffen wird nur eine Aktion durchgeführt, auch wenn die Jugendlichen später einen anderen Wunsch äußern.

Die Betreuer/-innen geben den Jugendlichen keine Anregungen und Angebote. Die Anfragen sollen allein durch die Jugendlichen selbst erfolgen.

  • Auswertung
    Es wird eine Auswertung zeitnah stattfinden. Die Auswertung wird durch einen Besucherfragebogen unterstützt und ergänzt (s. Anhang). Das Experiment wird auf Fotos dokumentiert.
  • Ausblick
    Nach Abschluss der Experimentierphase werden in Abstimmung mit den Jugendlichen einzelne Einrichtungsgegenstände wieder im Jugendtreff aufgestellt und zugänglich gemacht.

Nach der Laufzeit des Experiments werden Regeln zum Verhalten im Güterschuppen mit den Jugendlichen gemeinsam erarbeitet. Zudem werden durch das Team des Güterschuppens Veränderungen in den Abläufen umgesetzt, z. B. folgende:

  1. Nur geregelte Formen der Selbstbedienung sind im Jugendtreff möglich.
  2. Ein fester Thekendienst wird eingerichtet. Dieser regelt den Ablauf der Herausgabe von Materialien und hat die Pfänder unter Verwahrung. Außerdem obliegt diesem Dienst die Inbetriebnahme der Musikanlage.
  3. Es können keine Speisen und Getränke von den Besuchern selbstständig gekühlt und hergestellt werden. Dies ist nur noch im Auftrag und/oder in Absprache mit dem Thekendienst oder von diesem selbst möglich.
  4. Die zweite Fachkraft/Betreuer/-in hält sich als Gesprächspartner für die Besucher/-innen bereit und unterstützt den Thekendienst

Pädagogische Folgerungen

  • Werte über Beziehungen transportieren
    Die Entwicklung eigener Wertvorstellungen kann nur in der Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen und bedeutenden Erwachsenen in Beziehungsarbeit erfolgen. Die Bewältigung von Entwicklungs-aufgaben muss daher in der außerschulischen Jugendarbeit stärker Berücksichtigung finden und ihr integraler Bestandteil sein.
    „Die Beschäftigung mit Entwicklungsaufgaben findet bei Jugendlichen nicht nur hohes Interesse, sondern eröffnet Perspektiven, unter denen Entwicklung als Bereich des Lernens in eigener Sache an Relevanz gewinnt und aktiv verfolgt wird“(Oerter/Montada 1998, 329).
  • Jugendliche stark machen
    „Wer also Kinder (und auch Erwachsene) stark machen will, muss ihnen schwierige Aufgaben übertragen, ihnen Mut machen und ihnen Vertrauen schenken“ (Bergmann, Hüther 2006, 131). Es gilt also, Jugendliche immer wieder mit lösbaren Aufgaben zu konfrontieren und sie bei der Lösungsfindung zu unterstützen, nicht eine Lösung vorzugeben. Das kann für professionelle Jugendarbeiter u. U. auch bedeuten, „sehenden Auges“ Umwege, Fehltritte und Redundanzen auszuhalten. Eine „Haltung“, die am ehesten mit dem Begriff „Coaching“ verbunden ist, scheint hier ratsam.
  • Partizipation statt Konsum
    „Die außerschulische Jugendarbeit feiert viele Erfolge mit Projekten und Aktionen, die Jugendliche konsumieren, wenn sie Bock darauf ha¬ben und ihren Geschmack treffen. Partizipative Projekte sind jedoch meist eher länger dauernde Prozesse (Wochen bis Monate) mit ungewissem Ausgang und verteilter Entscheidungs- und Gestaltungs¬macht“ (Frehner 2004,7). Konsum von Jugendarbeit durch Jugendliche verstärkt eine passiv-regressive Haltung und bietet wenig Identifikations-möglichkeiten. Partizipation ermöglicht ein hohes Maß an Identifikation und fördert eine aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt. „Bewährung statt Bewahrung“ könnte der Slogan hierzu lauten.